Freitag, 20. Juli 2012

Der Autor ist tot! Es lebe die Autorin...


Ist von Autorschaft und Geschlecht die Rede, so geht es besonders um die Sichtbarmachung von Frauen in der Literatur, Autorinnen also. Was aber immer mitschwingt, ist der Diskurs um die Leserin sowie letztlich auch um die Literaturwissenschaftlerin.

Von einer postgender-Debatte, wie sie derzeit in den Medien geführt wird, sollte hier nicht die Rede sein. Nachdem die Literatur von Frauen so lange wenig bis unbeachtet geblieben ist, wird die Forderung nach einer Beachtung selbiger spätestens ab den 1970er Jahren laut. Die Kategorie „Geschlecht“ zur Einordnung von Literatur erfährt berechtigte Aufmerksamkeit.

Und das, obwohl Roland Barthes erst 1968 den "Tod des Autors" ausgerufen hatte und stattdessen dem Text mehr Aufmerksamkeit widmen wollte.
Und mit ihm waren sich viele Poststrukturalist_innen einig, wenn sie die Forderung auch mit Abstufungen versahen. So fragte Michel Foucault anstatt sich der Proklamation des Autorentodes anzuschließen lieber "Was ist ein Autor?" und forderte eine weitere Reflexion. Dennoch... über Jahre tritt die Autorpersona fortan in den Hintergrund. 

Eine Tatsache, die wiederum feministische Literaturwissenschaftler_innen hinterfragen. So zum Beispiel Nancy K. Miller in ihrem Aufsatz "Change the Subject". Sie verortet sich als dem Poststrukturalismus durchaus zugewandt und kennt natürlich Roland Barthes' Argumentation. Miller folgert: Eigentlich hätte die feministische Literaturtheorie den Tod des Autors positiv aufnehmen müssen. „Es ist schließlich der Autor, der – in Anthologien aufgenommen und institutionalisiert – durch seine (kanonische) Präsenz die weniger bekannten Werke von Frauen und Minderheiten-Schriftstellern ausschließt und der durch seine Autorität deren Ausschluss rechtfertigt.“[1] Das Problem ist allerdings ein ebenso einfaches, wie schwerwiegendes: Wenn nicht über den Autor gesprochen wird, wird auch über die Autorin geschwiegen. 

Miller kritisiert, dass Barthes einen Leser fordert, der „ein Mensch [ist] ohne Geschichte, ohne Biographie, ohne Psychologie“[2], dann kann er weder männlich, noch weiblich sein. Auch hier findet also keine Sichtbarmachung von Frauen statt. Ein Problem, dass auch andere Frauen vor Miller verbalisiert haben. Wie zum Beispiel Adrienne Rich, die Miller in ihrem Aufsatz mit folgender Geschichte zitiert: 
 
"Heute wird viel über den Einfluss gesprochen, den die Mythen und die Bilder von Frauen auf uns alle haben. Die wir Produkte der Kultur sind. Ich glaube, dies ist ein typisches Dilemma für das Mädchen oder die Frau, die versucht zu schreiben, da sie besonders empfänglich für Sprache ist. Auf der Suche nach ihrer Stellung in der Welt wendet sie sich der Lyrik oder der Erzählliteratur zu, da sie eifrig nach Modellen, Mustern, Möglichkeiten Ausschau hält; und immer wieder [...] stößt sie auf etwas, das all dies zunichte macht, wodurch sie sich definiert: Sie trifft auf das Bild einer Frau in Büchern, die von Männern geschrieben wurden. Sie stößt auf einen Schrecken und einen Traum, ein hübsches blasses Gesicht, sie findet La Belle Dame Sans Merci, sie findet Julia oder Tess oder Salome, was sie jedoch eben nicht findet, ist dieses versunkene, schwer arbeitende, verblüffende, manchmal inspirierte Wesen, sie selber, das an einem Schreibtisch sitzt und versucht, Wörter zu verbinden."[3] 
 

Anhand dieser Textstelle markiert Miller ein schwerwiegendes Problem für die lesende und schreibende Frau: um den „Wunsch nach einem Platz im Diskurs der Kunst und einer Identität“[4] erfüllen zu können, sind Vorbilder nötig, die im bisherigen Kanon fehlen. Bisher waren es vor allem Männer, die Frauenfiguren geschaffen haben und diese Figuren zeichnen sich vor allem durch Schwäche und Machtlosigkeit aus.

Und das liegt nicht etwa daran, dass es keine Autorinnen gäbe. Frauen schreiben und haben eigentlich auch schon immer geschrieben. Aufgrund gesellschaftlicher Konventionen konnten sie allerdings nicht publizieren. Einige schafften es trotzdem unter männlichen Pseudonymen oder im Namen ihrer liberalen Brüder oder Männer. So hat es zum Beispiel Dorothea Schlegel gemacht. Ihr Roman "Florentin" (1801) erschien unter dem Namen ihres Mannes Friedrich Schlegel. 

Inzwischen hat die Literaturwissenschaft einiges aufgearbeitet. Es gibt neuere Aufsätze zur Aufarbeitung weiblicher Autorschaft[5], etymologische Untersuchungen zum Autorschaftsbegriff[6] und die Versuche, einen Frauen-Literatur-Kanon zu etablieren[7].

Es gibt epochenübergreifend nach wie vor zahlreiche Autorinnen zu entdecken und zu edieren. Dies geschieht bisweilen mit kuriosen Mitteln. So finanzieren die Herausgeberinnen der Hedwig Dohm Edition ihr Projekt zum Beispiel mit szenischen Lesungen (der Wissenschaftlerinnen selbt gemeinsam mit einem Schauspieler)

Und letztlich ist es in der Literatur(wissenschaft), wie in so vielen Bereichen: Eine Sichtbarmachung von Frauen in der Literatur, ob als Autorin, Leserin oder Wissenschaftlerin ist wünschenswert. Der Gefahr, Frauen durch eine „Sonderbehandlung“ wiederum ein Stigma zu verpassen, muss bedächtig begegnet werden.


[1] Nancy K. Miller: Wechseln wir das Thema/Subjekt. Die Autorschaft, das Schreiben und der Leser. In: Fotis Jannidis, Gerhard Lauer, Matias Martinez und Simone Winko (Hg.): Texte zur Theorie der Autorschaft. Stuttgart 2000. S. 251-274. 
[2] Roland Barthes: Der Tod des Autors. In: Ebd. S. 185-193.
[3]
Adrienne Rich: When we Dead Awaken: Writing as Re-Vision. Zitiert nach Miller:  258. Kursivsetzungen und Auslassung im Original.
[4] Miller: 259.
[5] Siegrid Nieberle: Rückkehr einer Scheinleiche? Ein erneuter Versuch über die Autorin. In: Fotis Jannidis, Gerhard Lauer, Matias Martinez und Simone Winko (Hg.): Rückkehr des Autors. Zur Erneuerung eines umstrittenen Begriffs. Tübingen 1999. S. 255-272.
[6] Kerstin Kazzazi: Eine Hand mit Armbändern. Zur sprachgeschichtlichen Asymmetrie des Autorenbegriffs. In: Ina Schabert und Barbara Schaff (Hgg.): Autorschaft. Genus und Genie in der Zeit um 1800. Berlin 1994. S. 21-39.
[7] Siehe etwa: Anne Bollmann (Hg.): Ein Platz für sich selbst. Schreibende Frauen und ihre Lebenswelten (1450-1700). Frankfurt am Main 2011, Hiltrud Gnüg und Renate Möhrmann (Hgg.): Frauen Literatur Geschichte. Schreibende Frauen vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Stuttgart 2003 oder Carola Hilmes: Skandalgeschichten. Aspekte einer Frauenliteraturgeschichte. Königstein/Taunus 2004.


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